Sonntag, 29. Mai 2011

"Wer nie in New York gelebt hat, hat nie in der modernen Welt gelebt." Mina Loy, 1916

CRAZY NEW YORK – DIE FRAUEN VON HARLEM UND GREENWICH VILLAGE (ALL-NIGHT PARTY - THE WOMEN OF BOHEMIAN GREENWICH VILLAGE AND HARLEM 1913-1930) von Andrea Barnet ist eines meiner Lieblingssachbücher. (2001)

Es umreißt die Lebenswege (inkl. Liebschaften) einiger Frauen der New Yorker Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts, als da z.B. wären:
Djuna Barnes, die blitzgescheite Schriftstellerin und Journalistin, die zerbrechlich-wilde Dichterin Edna St. Vincent Millay, die Bluessängerinnen Bessie Smith und ihre Kollegin Ethel Waters, die Salonnieren A’lelia Walker und Mabel Dodge, die aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern ein wenig den Weg ebneten – genau wie die Verlegerinnen Margaret Anderson und Jane Heap - und noch einige andere mehr.

Ein wirklich unterhaltsames Buch über mutige Frauen, die ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalteten – auch wenn diese Vorstellungen nicht immer gesellschaftskonform waren und so manchem braven Bürger sauer aufstießen. So folgte die Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven


– die Mama des Dada - ihrer eigenen Mode und rasierte sich auch mal den halben Kopf kahl, färbte das verbliebene Haar henna-rot während sie den kahlen Teil ihres Schädels rotlakierte, ihr Gesicht mit gelben Puder beschmierte und die Lippen schwarz anmalte. Sie mit einem Vogelkäfig (inkl. lebendem Kanarienvogel darin) anzutreffen, war allem Anschein nach Normalität im damaligen New York.

Nicht wenige der Damen lebten lieber mit anderen Damen oder ganz ohne sexuelle Beziehung – und deklarierten das u.a. auch als politische Botschaft.

Ein paar Schwächen hat das Buch, die evtl. der Übersetzung anzulasten sind, denn gerade zum Ende hin macht der eine oder andere Satz keinen Sinn – was aber den Gesamteindruck keineswegs schmälern sollte. Für Einsteiger, die sich zum ersten Mal mit den Frauen dieser Epoche beschäftigen wollen – oder diejenigen unter Euch die einfach mal reinschnuppern wollen in die Geschichte der weiblichen Künstler egal welcher Profession (Wobei ich auch Gastgeberschaft als Kunst bezeichnen will) ist dieses Buch gewiss ein wunderbarer erster Schritt.




  • Konfliktpotential: Alle die freier Liebe, der Kunstform Dada, Homosexualität, kompletter Verweigerung von Sexualität oder offen Gesprächen über Sexualität sowie der freizügigen Auslebung selbiger überhaupt (inkl. zur Schau gestellter Genitalien – keine Angst das ganze wird nicht in Fotos belegt – oder enttäuscht Euch das jetzt?) eher ablehnend gegenüber stehen, werden wohl kaum Freude an dem Buch haben.


  • Sex-Appeal: Obwohl sehr häufig über die Sexualität der Dramatis Personae dieses Buch geschrieben wird, handelt es sich dabei aber keines Falls um eine pornographische Schrift – also alles in eher sachlichem Ton, obwohl manchmal doch ein wenig Ironie aufzuschimmern scheint.. Aber es ist nun einmal gerade die Sexualität die einen Teil des Weges zur freien Entfaltung der Frauen bildet.


  • Woher nehmen? Leider, leider ist das Buch nur noch antiquarisch aufzutreiben.

Mittwoch, 18. Mai 2011

"Sir, ein Notfall."

EIN MÄDCHEN AUS BESTER GESELLSCHAFT (VOYAGE OF INNOCENCE) ist Elizabeth Edmondsons zweiter Roman. (2005)


1938. Mrs. Verity „Vee“ Hotspur befindet sich auf einem Ozeandampfer auf dem Weg nach Indien als sie plötzlich verschwindet.

Mit an Bord befinden sich auch Vees Cousine Claudia und Vees beste Freundin, die Amerikanerin Lavender „Lally“. Die Ozeanfahrt fällt sehr stürmisch aus, weshalb die meisten Passagiere Zeit haben sich in ihrer Koje der Seekrankheit und ihren Erinnerungen hin zugeben – was für uns Leser zu einem Rückblick auf Vees Zeit auf dem Grace College (also eines der Damencolleges) der Universität Oxford ab 1932 führt, die sie dort zusammen mit Lally und Claudia verlebte.

Die drei Mädchen unterscheiden sich sehr stark voneinander – nicht nur in ihrer Persönlichkeit, sondern auch in ihrer politischen Entwicklung, wobei Lally quasi als neutraler Punkt zu den politischen Wegen ihrer Freundinnen fungiert:

Während Vee mit den Kommunisten sympathisiert, was in erster Linie bedeutet, dass sie für die Genossen Briefumschläge kleben muss (Frauen sind in den 30ern parteipolitisch nicht gerade in leitenden Positionen - keine Sorge: Dabei bleibt es für Vee nicht. Aber: Psst!) – begeistert Claudia sich für Oswald Mosley und seine Faschisten..


(Oswald Mosley)

Wie Ihr Euch eventuell erinnert ist Elizabeth Edmondson eine meiner Lieblingsautorinnen – deswegen erwartet jetzt bitte nicht von mir objektiv zu bleiben. Na ja – als wäre ich das jemals.. ;“)

Aber ich fange vorsichtig an:

Jane Austen wird erwähnt, was schon mal als gutes Zeichen gewertet werden darf, finde ich. ;“) ~ Na? Kinder, wenn das jetzt kein vorsichtiger Anfang war, weiß ich auch nicht.. ~

Dieser Roman ist um einiges politischer als ich es erwartet hätte (Vorsicht: einige der politikbegeisterten jungen Männer schwafeln hier genauso, wie sie es auch im „echten“ Leben machen. Sie führen auch genau dieselben Diskussionen, bei denen egal-was-Ihr-als-Gegenargument-liefert, nicht akzeptiert wird und nur als Beweis gewertet wird, wie unwissend und politisch falsch gelagert Ihr seid. ~ Ja, ab und an war ich beim Lesen etwas genervt, weil es fast schon zu nah an meine eigenen Erfahrungen herankam.. Obwohl ich solches Verhalten bisher nicht nur bei politischen Menschen und auch nicht nur mir gegenüber wahrnemen konnte..~

Was ich auch nicht erwartet hätte, ist, dass das Buch sich mehr und mehr zu einer Art Agentengeschichte entwickelt – nicht James Bond und auch keine wahnsinnigen Erfindungen, aber doch spannend. (Ich bin übrigens kein Fan von Mr. Bond, James Bond.)

Diejenigen, die bereits Elizabeth Edmondsons ersten Roman LADY HELENAS GEHEIMNIS gelesen haben, werden sich vielleicht über ein Wiedersehen mit Perdita Richardson als Passagierin auf der Überfahrt nach Indien freuen. Sie nimmt keine große Rolle ein, so dass man nicht zwingend LADY HELENAS GEHEIMNIS zuerst lesen muss.

Ich finde es immer sehr nett alte Bekannte in verschiedenen Büchern wieder zutreffen – und wenn auch nur am Rande..

Oh, und: ich liebe, liebe, liebe das deutsche Cover!!

Vielleicht ist dieses, das bisher das am anstrengendsten zu lesende Buch von Elisabeth Edmondson - was aber niemanden abschrecken soll.

Wer einen Roman lesen und dabei ein wenig über die englischen Faschisten erfahren will – denn auch die Briten waren nicht gesammelt Antifaschisten.. – dem sei EIN MÄDCHEN AUS BESTER GESELLSCHAFT wärmstens empfohlen.


  • Konfliktpotential?: Abtreibungen, (Anti-)Faschismus, Homosexualität, Selbstmord, Spionage... – heiße Themen gibt es hier zuhauf. ;“)

  • Sex-Appeal?: Ja, die jungen Damen haben Sex. Nicht ausführlich, aber definitiv. Und vorehelich außerdem (nur um es Euch gesagt zu haben – ich weiß nicht, ob ich das überhaupt erwähnen muss.. ;“p)

  • Woher nehmen?: Als Taschenbuch im Handel erhältlich. (ISBN 978-3-499-24479-7)